Ostwestfälischer Turngau
Samstag, 27.04.2024, 22:42:49
VIII. Kreis. Ostwestfälischer Turngau

Das erste Gaufest dieses neugebildeten Gaues wurde am 3. Juni in der altehrwürdigen Bischofsstadt Paderborn begangen Mit großer Spannung sahen wir Turner demselben entgegen; das Gelingen oder Mißlingen desselben war vielleicht eine Lebensfrage für unsern Gau.
Die drei Paderborner Turnvereine hatten die Vorbereitungen mit dem größten Eifer in die Hand genommen; aus den angesehensten Bürgern war der Festausschuß zusammengesetzt. An die Spitze derselben hatte sich der Geheime Regierungsrath Landrath Jentsch gestellt, nicht allein mit seinem Namen, sondern an jeder Sitzung hat er mit Rath und Tath theilgenommen. Braucht es da noch der Versicherung, daß wir Turner seitens der Paderborner Bürgerschaft einen so herzlichen und glanzvollen Empfang fanden, wie ihn wohl noch keiner unter uns erlebte? Ein Zapfenstreich durch die Hauptstrassen der Stadt leitete am Vorabend das Fest ein. Nach Beendigung desselben versammelten sich die Turner in der schön geschmückten Volkshalle, woselbst bei Musik des Trompetercorps vom dortigen Husarenregiment, Gesang und Reden noch einige Stunden in der gemüthlichen Weise verbracht wurden. Mit den ersten Morgenzügen rückten am Festtage die Turner von nah und fern heran und vereinigten sich in der Volkshalle, wo um 9 Uhr das Wettturnen begann. 41 Turner bewarben sich um einen Kranz. Die Uebungen fanden am Reck, Barren, Pferd und im Hochspringen, Laufen und Steinstoßen statt. Um 11 Uhr begann für die Nichtbetheiligten im Garten von Meyer, der Volkshalle gegenüber, das Frühconcert. Gleich nach Beendigung desselben stellten sich die Vereine auf dem Liboriberge zum Festzug auf, worauf die Fahnen vom Rathhause abgeholt wurden und der imposante Zug sich unter den Klängen der Husarenkapelle durch die mit Flaggen, Fähnchen und Laubwerk außerordentlich festlich geschmückte Stadt in Bewegung setzte.
Von 15 dem Gauverbande angehörenden Vereinen waren 14 erschienen, fast ein drittel sämmtlicher Gaumitglieder betheiligte sich am Festzuge.
Vor dem alten Rathause, allwo der Ehren-Ausschuss Aufstellung genommen hatte, begrüßte der erste Beigeordnete Müller die Turnerschar und betonte besonders, daß die Turnvereine durch Bewahrung und Pflege alter deutscher Einfachheit und guter Sitte die üppig emporwuchernde Genußsucht unserer Tage bekämpften und daher die Achtung und Unterstützung aller Gutgesinnten verdienten. Auf dem Schützenhofe, dem Ziele des Zuges, vereinigte ein einfaches Mahl die Turner, bei welchem der erste Gauvertreter Dr. Schäfer, Soest den Dank abstattete der Stadt Paderborn und den drei Turnvereinen, welche es verstanden hatten, das erste Wiegenfest des neuen Gaues zu einem so glänzenden zu gestalten. Auf Anregung des zweiten Gauvertreters Ripke, Lippstadt wurden dem gleichzeitig zu Hamm sein Fest feiernden Hellweg-Märkischen Gau die herzlichsten Glückwünsche telegraphisch übermittelt. Unter Leitung des ersten Gauturnwarts Rhode, Paderborn fanden um 4 Uhr der von etwa 200 Turnern ausgeführte Aufmarsch, die Stabübungen und der Abmarsch statt. Ausführung der Uebungen und Haltung der Turner bei den Märschen war musterhaft. Nunmehr ergriff Geheimer Regierungsrath Landrath Jentsch das Wort und führte in längerer Rede einen geschichtlichen Abriß über die Entwicklung des Turnwesens besonders in diesem Jahrhundert vor. Seine formvollendete Rede endete mit einem Hoch auf den Kaiser Wilhelm II., den Förderer der edlen Turnerei, welches begeistert aufgenommen wurde. Nun folgten in bunter Aufeinanderfolge Concertvorträge, Musterriegenturnen und Turnspiele. Um 7 Uhr fand die Preisvertheilung durch den ersten Gauvertreter Dr. Schäfer, Soest statt. Derselbe gab seiner Freude über das schöne Gelingen des Festes Ausdruck, ermahnte die Anwesenden, hinweisend auf die vorgeführten Uebungen, der Turnerei ihre Theilnahme zu bewahren, und erinnerte die Turner in ihren Bestrebungen nicht nachzulassen, dann sei der Zweck des so herrlich gelungenen Festes erreicht. Von den 41 Wettturnern erhielten 18 einen Eichenkranz mit Schleife.

PlatzNameVereinPunkte
1. Wiethaupt TV Paderborn 58 11/12
2. Rüther TV Jahn Soest 53 7/12
3. Spiekermann TV Soest 51
4. Scholle TV Soest 49 1/4
5. Müller TV Jahn Paderborn 48 5/6
6. Roye TV Soest 48
6. Streitbürger TV Jahn Paderborn 48
7. Vollmerich TV Soest 47 2/3
8. Wolff TV Geseke 46 5/6
9. Bühner TV Jahn Soest 45 2/3
9. Köhler TV Soest 45 2/3
10. Goldkuhle Allg. TV Paderborn 44
11. Brosius TV Jahn Paderborn 42 1/3
11. Voigt Allg. TV Paderborn 42 1/3
12. Bertram TV Jahn Paderborn 41 11/12
12. Eikel TV Westfalia Neuhaus 41 11/12
13. Treptau TV Soest 41 5/12
14. Beith TV Driburg 41

Auf den Schultern ihrer Vereinsgenossen nahmen die Sieger ihre Preise in Empfang unter Tuschblasen und "Gut Heil"-Rufen. Der inzwischen hereingebrochene Abend mahnte uns Auswärtige zur Heimfahrt, und wir schieden vom Festplatz mit dem Bewußtsein, einen Tag verlebt zu haben, welcher der Turnerei sicherlich neue Freunde zuführen wird.

entnommen aus "Deutsche Turnzeitung" Nr. 40, 4. Oktober 1894