Ostwestfälischer Turngau
Samstag, 27.04.2024, 06:55:51
Bezirksjugendtreffen und Jugendherberge Völlinghausen

(nach dem Soester Kreisblatt)

Die starke Tat des Soester Turnvereins 1862 - Wettkampf - Die Einweihung der Herberge - Kranzverteilung

Leider hat Gottes Pluvius sehr wenig Erbarmen gezeigt und selbst am Ehrentage des Soester Turnvereins von 1862 seinen Segen in derartiger Fülle ausgegossen, daß man das Fest in Völlinghausen als verregnet hätte ansehen können, wenn die Turner und Turnerinnen überhaupt klein zu kriegen wären.
Aber so waren alle Bemühungen der Wassergottheit zum scheitern verurteilt und der frisch-fröhliche Geist hat über den alten Griesgram den Sieg davon getragen.

Bereits am Sonnabend waren aus Soest, Lippstadt und Lipperode etwa 120 wanderfrohe Gesellen in der neuen "Bleibe" eingetroffen und gaben dem Ehrentag dadurch einen besonderen Auftakt. Wie aber gesagt wird, muss das Uebernachten in der Bleibe gelernt sein, trotzdem es sehr fidel und gemütlich zugegangen sein soll und die jungen Menschen haben ihre große Freude daran gehabt. Am Sonntag früh trafen dann weitere Turner aus Soest, Lippstadt, Lipperode, Werl, Schwefe, Ostönnen, Sassendorf, ja selbst aus Steinheim ein und wurde in aller Frühe ein eindrucksvoller Gottesdienst abgehalten. Kandidat Becker sprach in packender Weise über das Pauluswort von dem guten Lauf, der den Menschen verordnet ist und schloß mit dem wundervollen Vers:

Pflege den Körper, den prächtigen,
nach ewgen Gesetzen geschaffen
dann ehrest du Gott, den Allmächtigen,
der ihn dir zum Heiligtum schenkt.

Hierauf entwickelte sich frisches turnerisches Leben auf dem gut hergerichteten Platz, welcher die Jugendherberge umspannt.
Turnerinnen und Turner, 169 an der Zahl, haben im Dreikampf ihre jungen Kräfte gemessen. (Laufen, Weitsprung und Kugenstoßen, für Turnerinnen Schlagballweitwurf). Nebenstehend bringen wir die Siegerliste.

Als Nachmittags 2 Uhr das Bähnchen am Bahnhof Völlinghausen einlief, standen die jungen Menschen mit frischen Gesichtern und blanken Augen und empfingen die zahlreich erschienenen Ehrengäste. Unter Vorantritt einer Kapelle ging es zum Festplatz. Leider war der Weg sehr aufgeweicht, was der Vorsitzende Baucks in seiner Weiherede dann dahin deutete, daß, wenn es zur Höhe emporgehe aus Niederbruch und Zersetzung, es immer durch tiefen Dreck hindurchgehe und deutsche Turner und Turnerinnen sich dadurch nicht abschrecken ließen, zielsicher ihren Weg zu gehen, der zu deutscher Wiedergeburt und deutscher Kraft und Herrlichkeit führen solle.

Nunmehr traten die jugendlichen Turnerinnen und Turner zu gemeinsamen Freiübungen an. Immer, wenn es auch in wahllosen Gruppen geschieht wie es in diesem Falle war, nach einem Rhythmus sich schlanke Glieder und ranke Gestalten bewegen, wenn die Kraft gleichsam herausschnellt aus dem Strecken und Beugen des Körpers, der Beine und der Arme, dann ist es so, als ob sich etwas unwiderstehlich Starkes um einen geschlossenen Willen kristallisiert, und so werden auch viele Augen sich an den Freiübungen gefreut haben.

Nach einem vorzüglich gesprochenen Prolog entbot dann Carl Baucks in flammender Begeisterung allen Gästen aufrichtigen Heilgruß. Sein Heilgruß galt insbesondere den Ehrengästen, den Behörden, allen denen, die zum Gelingen der Aufgabe, eine Bleibe an der Pforte zum Sauerland zu schaffen, durch Rat und Tat beigetragen haben. In kraftvollen Worten zeichnete er den Weg zur Höhe aus Niederbruch und Zersetzung zu deutscher Kraft und Herrlichkeit zurück. Es ist eine ganz eigene Sache, wenn jemand mit der ganzen Kraft seiner Ueberzeugung für seine Herzenssache eintritt und die Scharen jugendfrischer Turnerinnen und Turner mit sich reißt, sich stark dafür macht, einen Weg zu gehen, der vielleicht nicht immer bequem, aber durchsonnt ist von einem starken Lebensimpuls, durchgeführt ist von inbrünstigem Glauben an das deutsche Volk.

Am Schluß brachte Carl Baucks dem Vaterland ein dreifaches Gut Heil, welchem das Deutschlandlied folgte.

Nach ihm sprach der 2. Vorsitzende des Soester TV 62, Direktor Bartholme, welcher einiges von den Schwierigkeiten erwähnte, die mit der Errichtung der Jugendherberge verbunden waren. Auch er betonte den starken Willen zur Tat, welchen die Turner bewiesen hätten und gab dem Wunsche Ausdruck, frohgemut diesen Tag zu begehen, der für den Turnverein ein besonderer Tag der Freude und der Dankbarkeit sein müsse.
Sein Hoch galt galt dem Soester Turnverein von 1862.

Beigeordneter Dr. Kottenberg überbrachte zu der Taufe die besten Grüße und Wünsche der Stadt Soest und des Jugendpflegeausschusses.

Er betonte insbesondere, daß mehr und mehr erkannt worden sei, daß die vorbeugende Gesundheitspflege ein wichtiges Glied im Rahmen der Volkswohlfahrtspflege sei und daß das Turnen und in Verbindung damit das Wandern der Weg dahin sein werde, den Gesundheitszustand zu heben und das kommende Geschlecht zu Trägern deutscher Kraft zu machen. Weiter gab er seiner Freude darüber Ausdruck, daß in dieser Jugendherberge sowohl der Turnsache als auch dem Wandertrieb der deutschen Jugend Rechnung getragen werde und versprach, daß die Stadt Soest ein offenes Ohr und eine willige Hand haben werde, wenn es gelten werde, die Jugendherberge zu fördern.
Für die Regierung sprach Regierungsrat Dr. Sturm, der Dezernent der Jugendpflege, welcher die besten Grüße und Wünsche des Regierungspräsidenten zum Ausdruck brachte. Er hob besonders hervor, daß die Jugendherberge Völlinghausen als Schöpfung des Soester TV 62 einen Markstein in der Provinz bedeute und werde das Beispiel hoffentlich recht viel Nachahmung finden. Er sprach ferner die Hoffnung aus, daß sich der Bleibe als Sammelpunkt der Turner und Turnerinnen in aller Bälde der Wassersport und der Wintersport angliedern möge, wofür die denkbar besten Voraussetzungen gegeben wären.
Auch er sagte der Jugendherberge tatkräftige Unterstützung zu und verlieh der Hoffnung Ausdruck, daß Stadt und Kreis soviel tun werde, daß es auch der Regierung eine Freude sein werde, mit vollen Händen zu helfen.

Vom Jugendherbergsverband ergriff Herr Kochskämper, Iserlohn das Wort. In feinsinniger Weise zeichnete er das Wandern als den Gesundheitsbrunnen deutschen Wesens und sprach seine Freude darüber aus, daß gerade an der Pforte in das Sauerland hinein diese Jugendherberge errichtet worden sei. Auch er nannte die Tat des Soester TV 1862 einen Markstein, sie sei gleichsam eine Triebkraft, welche andere Kräfte zu denselben starken Taten auslösen solle. Bedeutungsvoll sei, daß am gleichen Tage die Stadt Rinteln an der Weser eine Jugendherberge mit einem Aufwande von 40000 Mk., Gütersloh ebenfalls eine Jugendherberge einweihen und die alte Burg Stahleck am Rhein ihre Räume geöffnet hat, um den wanderfrohen Menschen eine Bleibe zu werden. Er schloß mit dem alten Turnerspruch:

Frisch - fromm - fröhlich - frei!

Carl Baucks dankte allen für die herzlichen Grüße, sprach nochmals allen Helfern und Spendern den Dank des Vereins aus. Nunmehr entwickelte sich trotz diesigen Wetters und unangenehmer Regenschauer auf dem Platz ein lebendiges turnerisches Bild. An Reck und Barren wurde geturnt und die Turnerinnen brachten in hübscher Weise allerhand Turnspiele, an welchen sich die Gäste sicher gefreut haben werden.

Später wurde die Kranzverteilung vorgenommen. Dabei betonte Carl Baucks, daß der Kranz dieses Mal besonders wertvoll sei, weil er bei der Einweihung der Jugendherberge Völlinghausen errungen worden wäre. Damit war die offizielle Feier zu Ende, doch war noch bis zum Abend trotz der regnerischen Witterung turnerisches Treiben, jungfrische Luft auf dem Platz und in den gastlichen Räumen der Bleibe. Ueberall klingende Stimmen und frohe Gesichter, die Siegerkränze auf blonden, schwarzen und braunen Köpfen und in den Augen Sonne, Sonne. - Es war ein schöner Tag und so gut er ein Markstein ist, ebenso gut wird eine Erinnerung damit verbunden sein, welche den Turnerinnen und Turnern nur zur Freude gereichen kann.

Die Jugendherberge liegt wundervoll nur ein paar Minuten vom Bahnhof Völlinghausen, ringsum von bewaldeten Kuppen umschlossen. Ueber die eine Kuppe grüßen die Türme von Völlinghausen und etwas weiter zurück der Turm des Schlosses
Hinter der Jugendherberge steigt der Wald an und es ist, als ob die "Bleibe" in tiefem Frieden eingebettet liegt. Einen besseren Platz konnte man für dieselbe gar nicht wählen - leicht zu erreichen und doch wieder abseits von alledem, was man vielleicht einmal meiden möchte, die Unruhe des Tages, den Straßenlärm, das Knattern der Motorräder und der Autos, inmitten tiefen Waldfriedens und eine Stätte der Erholung, wie man sie sich besser gar nicht wünschen kann. Wir bemerken noch, daß wir unter den Ehrengästen Ehrenamtmann Berken, Gemeindevorsteher Joest und Krevet, Branddirektor Werth u. a. bemerkten, und geben wir unsrer großen Freude darüber Ausdruck, daß die starke Tat des Soester TV 1862 die Beachtung gefunden hat, welche Sie unbedingt verdient.
Wir hatten ferner Gelegenheit, die vielen Grußschreiben von nah und fern zu sehen, welche der Verein erhalten hat. Wir erwähnen u. a. den herzlichen Brief des Ehrenvorsitzenden Professor Schäfer, welcher durch Krankheit am Erscheinen verhindert war, des früheren Vorsitzenden Steinhoff (Generaldirektor der Blankenburger Kleinbahnen).

Nicht unerwähnt möchten wir den Turnbruder Ernst Föhring lassen, der die geschäftlichen Dinge, wie sie mit der Errichtung der Jugendherberge verbunden waren, mit unermüdlichem Eifer zur Erledigung brachte und neben dem Spiritus rector C. Baucks ein großes Verdienst an der starken Tat hat, welche von dem Soester TV 62 in vorbildlicher Weise geleistet worden ist.

entnommen aus "Blätter für den Ostwestfälischen Turngau" No. 126, Juli 1926