Ostwestfälischer Turngau
Samstag, 04.05.2024, 19:24:49
Gauturnfahrt

An Stelle des Gaufestes war für die Gaugenossen in diesem Jahre eine Turnfahrt geplant. Dieselbe solte am 23. Aug., wie in voriger Nummer mitgeteilt, von stattengehen. Infolge des ungemein regnerischen Wetters, das sich gerade in den Tagen vor der Fahrt besonders ungünstig gestaltete, waren die Aussichten recht trübe und gar mancher Turner mag bangen Herzens zu den dunklen Regenwolkenmassen aufgeschaut haben. Auch der Gauturnrat hatte bereits Vorsorge getroffen, falls die Fahrt noch in der letzten Stunde hätte abbestellt werden müssen.

Doch der Regengott hatte diesmal noch Einsehen. Die Turnfahrer hatten während der ganzen Fahrt, wenn auch nicht "den allersonnigsten Sonnenschein" so doch prächtiges Marschwetter. Die Beteiligung war wieder Erwarten gut.
Es hatten sich von 15 Vereinen mehr als 200 Turner zusammengefunden. Vertreten waren nicht: Altengeseke, Borgeln, Paderborn Turnverein und Werl. Leider machte eine Zugverspätung einen Strich durch einen Teil des Programms.
Die Turner der westlichen Gauvereine, die Mehrzahl der Teilnehmer, erreichten nämlich in Altenbeken nicht mehr den Anschluß an den fahrplanmäßigen Zug nach Detmold, sondern mussten auf den eine Stunde später abgelassenen Extrazug warten. Wegen der vorgerückten Zeit konnten sie nun nicht, wie vorgesehen, von Horn aus den Fußmarsch antreten, waren viel mehr genötigt, direct bis Detmold zu fahren, um noch rechtzeitig den rein turnerischen Teil des Programms zur Ausführung bringen zu können. So strebten denn die Turner in 2 getrennten Kolonnen ihrem Ziel zu. Die Hauptmacht marschirte in geschlossenem Zuge in fester Ordnung um 11 Uhr morgens vom Bahnhof Detmold aus durch die lippische Residenz, die sich eines Feuerwehrfestes wegen im Fahnenschmuck präsentirte. Der Weg führte am fürstlichen Schloss mit seinen herrlichen Parkanlagen vorbei durch die Hauptstraße und die Promenade, welche sich von anmutigen Villen bekränzt, bis an den Fuß des Berges erstreckt. Trommler und Pfeifer des Turnvereins "Jahn" Paderborn ließen lustige Weisen erschallen, die abwechselnd mit frischen frohen Turnerliedern den Marsch so förderten, daß schon um 12 Uhr das Denkmal erreicht war. Als gegen 1 Uhr, unter Führung des Gauvertreters des Lippeschen Gau, Herrn Hinrichs, der in zuvorkommender Weise bis Horn entgegengefahren war, das Gros der zweiten Kolonne anlangte - einige Vereine waren leider ihre eigenen Wege gegangen und kamen später an - konnte auf der Bandelwiese mit dem Turnen begonnen werden. Nach dem Aufmarsch ergriff der zweite Gauvertreter, in Vertretung des dienstlich verhinderten ersten, das Wort zu kurzer Ansprache, in der er die einigende Wirkung der Turnerei besonders betonte und auf die Bedeutung des Tages und Ortes hinwies.

Aufmarsch und Freiübungen, zu denen etwa 80 Turner angetreten waren, wurden unter Leitung des ersten Gauturnwartes gut durchgeführt.

Tadelnd sei erwähnt, daß einige Wettturner die für sie obligatorischen Freiübungen in ihren Vereinen so wenig geübt hatten, daß sie häufig ratlos dastanden oder die Übungen verkehrt ausführten. Auf ein turnerisch geschultes Auge wirkte dies wiederholt störend, konnte aber den guten Gesammteindruck nicht wesentlich beeinträchtigen.
An dem volksthümlichen Wettturnen, Weithochspringen, Steinstoßen und Laufen nahmen 40 Turner theil. Die Leistungen waren fast durchweg gute. Das meiste Interesse erregte der Weithochsprung. Trotz ungünstigen Anlaufes und Niedersprunges blieben die Resultate hinter den guten des Laufens nur wenig zurück. Nach Schluß des Wettturnens vereinigte ein gemeinsames Mittagessen eine größere Zahl der Theilnehmer. Den Dank, den unser Gau dem Lippe'schen und besonders seinem Vertreter schuldete, brachte der I. Gauturnwart zum Ausdruck. Für die meisten wohl allzufrüh , musste man an Aufbruch denken. Die Verkündigung der 12 Sieger erfolgte durch den II. Gauvertreter von der Terrasse des Hermannsdenkmals, auf welcher dieselben auch mit dem Eichenkranz geschmückt wurden und ihre Siegerurkunden in Empfang nahmen. Nachdem noch Herr Hinrichs mit begeisternden Worten für die alljährliche Abhaltung eines Teutoburger Waldfestes durch die benachbarten Gaue eingetreten war, ging es den Berg hinab. In Viererreihen, die Sieger an der Spitze, wurde rechtzeitig der Bahnhof Detmold erreicht. Von hier fuhren die einzelnen Vereine in sehr gehobener Stimmung in ihre Heimatsorte zurück.
Waren sie sich doch bewußt, an diesem 23. August nicht blos einen für die Förderung der Turnsache erfolgreichen, sondern auch für jeden einzelnen Turner genußreichen Tag verlebt zu haben.

Ripke

entnommen aus "Blätter für den Ostwestfälischen Turngau" No. 3, November 1896