Ostwestfälischer Turngau
Donnerstag, 28.03.2024, 19:42:52
Bericht über das Gauturnfest in Paderborn am 11. und 12. Juni 1921

"Was macht das Barometer?" war die bange Frage aller derer, die sich auf die wichtigste Veranstaltung des Turngaues eingestellt hatten. Hin und wieder hat dieser oder jener Turner geklopft, um zu sehen, was der Zeiger machte, und ein Hoffnungsstrahl durchzuckte das Herz, als am Samstag Nachmittag ein wenig Steigen zu vermerken war. Um 5 Uhr fand sich eine stattliche Zahl Turner und Kampfrichter in der Theodorschul-Turnhalle ein, um an einer geschickt angelegten Uebungsfolge eine annähernd gleichwertige Wertung der turnerischen Leistungen herbeizuführen. Turngenosse Pilger, Paderborn, hatte die Leitung in seinen Händen, wie auch die Abwicklung des Festprogramms zum guten Teil auf seine Initiative zurückzuführen ist. Kurz nach 8 Uhr sammelte sich eine große Schar Turner zum Zapfenstreich, der bis auf das letzte Stück von der Gunst der Witterung getragen war. Im Bürgersaale sollte darauf der Auftakt zum Feste erfolgen. Turnerinnen, Turner und Turnfreunde füllten den schönen, geräumigen Saal und warteten dessen, das da geboten werden sollte.

Der Vorsitzende des Turnvereins "Jahn" Paderborn, Turngenosse Schäfers, brachte mit markigen Worten allen Teilnehmern, besonders den Vertretern der Behörden, den Willkommensgruß des festgebenden Vereins entgegen; er gab der Hoffnung Ausdruck, daß die Veranstaltung dazu beitragen möge, die alten Bande der Freundschaft zu festigen, neues Streben und turnerisches Leben, besonders bei der Jugend hervorzubringen. Der Turnerschaft widmete er ein dreifaches "Gut Heil".

Nun wechseln in flottem Tempo musikalische Darbietungen mit turnerischen Vorführungen. Dazwischen einige markige Ansprachen.
Frische, fröhliche Stimmung in aller Herzen. Die turnerischen Darbietungen ernten nicht nur brausenden Beifall, sie geben älteren Turnern Stoff zum Nachdenken und Vorbilder für ähnliche Veranstaltungen. Die Sonderdarstellungen der Turngenossen Weighardt und Streil, die während ihres Aufenthalts in englischer Gefangenschaft in staunenerregender Weise für ihre turnerische Aus- und Weiterbildung gesorgt hatten, verdienen besondere Erwähnung. Dann legt Turngenosse Schäfers den Vorsitz in die Hände des Gauvertreters Meyer zu Köcker, der mit wuchtigen Worten die Bedeutung des Festes und der turnerischen Ausbildung in unserer trostlosen Zeit zum Ausdruck bringt. Er schließt seine schwungvollen Ausführungen mit dem Hinweis auf die Bedeutung des vierfachen "F". Während der Unterhaltung hatten die Festteilnehmer Gelegenheit, die Festzeitung zu studieren und sich über die Geschichte und Bedeutung des Turnens und über die Veranstaltungen des folgenden Sonntags zu unterrichten.
Recht verheißungsvoll sah der Himmel gerade nicht aus, als gegen 11 Uhr die frohgestimmte Menge durch Straßen und Gassen in ihre Quartiere ging

Die Arbeit des Sonntags wurde durch Teilnahme an Gottestdiensten eingeleitet. Gegen 8 Uhr sammelten sich die Wetturner und Kampfrichter auf dem Schützenplatze. Rauchendes Grün umfing die Jünger Jahns, und aus dunklem Gebüsch sang eine Nachtigall ihr schmetterndes Morgenlied. 1/2 9 Uhr wurden vom Turngenossen Pilger die Scharen und Kampfrichter verteilt und bald entfaltete sich auf verschiedenen Plätzen ein fröhlicher, friedlicher Wettkampf. Es wurden verhältnismäßig gute Durchschnittsleistungen erzielt, besonders bei denen, die eine gute Einübung und Schulung aufzuweisen hatten.
Die Turnerschaft des Ostwestfälischen Turngaues wird nicht umhinkönnen, noch mehr Wert auf stilgerechte Ausbildung im volkstümlichen und im Geräteturnen zu legen. Der Aufbau der Uebungen muss bis ins Kleinste vorbereitet werden, dann kommt man zu höheren Leistungen infolge besserer Auswertung der Kräfte. Gegen 1 Uhr fand das Wetturnen seinen Abschluß. Ab und zu blies ein frischer, kühler Wind durch die geräumigen Hallen des Festplatzes und nötigte die leichtgekleideten Turner, sich in Mantel oder Rock zu hüllen.

In der Mittagspause verteilten sich die Turner im Städtchen, nahmen einen stärkenden Imbiß und rüsteten sich zum Festmarsch, der sich gegen 3 Uhr vom Koviktsplatze in Bewegung setzte. Das war ein Gewoge von Fahnen, ein strammer militärischer Schritt durch die Hauptstraßen Paderborns. Tausende standen und sahen dem Festzuge zu, der sich auf dem Marktplatze, den herrlichen Dom im Rücken, in dichten Reihen aufstellte. Herr Oberbürgermeister Haerten entbot den Turnern, die von fern und nah herbeigeeilt waren, den Willkommensgruß der Stadt, betonte das Interesse, das die Bewohner den Turnern und ihrer Arbeit am Volke, also am Staate, entgegenbrächten und wünschte dem Feste guten Verlauf. Ihm dankte in beredten Worten der Vorsitzende Turngenosse Meyer zu Köcker, der besonders darauf hinwies, daß die Arbeit der Turnerschaft ohne die Unterstützung der Gemeinden und des Staates nur auf einen begrenzten Erfolg beschränkt sei. Der Dank für die freundliche Aufnahme in Paderborn klang aus in ein dreifaches, donnerndes "Gut Heil".

Dann setzte sich der Festzug, voran ein Bannerträger in blinkender Rüstung, in Bewegung zum Schützenplatz, wo einige Sondervorführungen Bewunderung erregten, dann die Preisverteilung erfolgte und allen Teilnehmern Gelegenheit geboten wurde, das Tanzbein zu schwingen. Leider zwang der gegen 5 Uhr einsetzende kalte Regen die Festteilnehmer, die schützenden Hallen aufzusuchen. Andere rüsteten sich zur Abfahrt in die Heimat. Allen hat das Gaufest in Paderborn die Gedanken und Gefühle mitgegeben: Es ist etwas herrliches um die deutsche Turnerei. Sie ist das beste Mittel, wie zur Zeit Jahns, am Aufbau des deutschen Volkes zu helfen; darum müssen alle Sonderwünsche und -bestrebungen unterdrückt und nur das eine große Ziel verfolgt werden: durch die Turnerei zu einer edlen, starken Nation.
Wenn in diesem Sinne in den einzelnen Vereinen gearbeitet wird, dann wird das turnerische und sportliche Leben im Gau wachsen wie unsere Eichen und wir werden ein starkes Geschlecht heranbilden, das einst die Fesseln der Knechtschaft von sich werfen wird.

entnommen aus "Blätter für den Ostwestfälischen Turngau" No. 108, 15. Juli 1921