Ostwestfälischer Turngau
Freitag, 19.04.2024, 11:20:41
Gauturnfest des Ostwestfälischen Turngaues am 3. - 4. August 1929 in Steinheim

Das diesjährige Gauturnfest fand in Steinheim statt.
Das saubere Städtchen hatte überaus reichen Flaggenschmuck angelegt. Viele Fahnen und riesige Wimpel zeigten das rote D. T. auf weißem Grund. Vom Bahnhof her grüßten die ersten Willkommensschilder, sodass auch äußerlich der Charakter eines Turnfestes gekennzeichnet war. Am Samstag gegen 6 Uhr nachmittags trafen die ersten auswärtigen Vereine mit ihren Fahnen, begleitet von Musik und Gesang ein. Nach Ausgabe der Quartierkarten, es wurden 250 Turner untergebracht, fand anschließend eine Kampfrichtersitzung statt. Nach Einbruch der Dunkelheit erfolgte der Zapfenstreich, der am Marktplatze längere Zeit verweilte.
Hier war über dem Springbrunnen der Stadt eine hohe Tribüne errichtet, auf welcher der Steinheimer Turnverein neuartige Freiübungen bei effektvoller Beleuchtung, ferner ein Fackelschwingen vorführten, was einen prächtigen Eindruck hinterließ und allseitigen Beifall auslöste. Der Zug setzte sich weiter in Bewegung zum Schützenhause, wo der Festkommers abgehalten wurde. Die Schützenhalle war bald überfüllt und erwies sich für diesen Massenandrang als viel zu klein. Nach dem gemeinsamen Gesang des Liedes: Ein Ruf ist erklungen... begrüßte der Vorsitzende des Steinheimer Turnvereins, Herr Fritz Müller, den Fest-Ehrenausschuß, den Gauturnrat, sowie sämtliche Turnerinnen, Turner und sonstigen Anwesenden. Seine Worte klangen aus in ein dreifaches "Gut Heil" auf die Deutsche Turnerschaft und unser geliebtes deutsches Vaterland, in das alle Versammelten begeistert einstimmten. Hiernach folgte das Deutschlandlied, das von allen stehend gesungen wurde.
Zur wesentlichen Verschönerung des Abends trugen die beiden örtlichen Gesangvereine "Liederkranz" und "Harmonie" durch Gesangsvorträge bei, die allseitigen Beifall fanden. Tanzvorführungen der Mädchen von 10-12 Jahren, sowie Geräteturnen der jugendlichen Turner des TV. Steinheim konnten sehr gefallen. Nach Uebergabe der weiteren Festleitung an den Gauturnrat übernimmt der Gauvertreter Meyer zu Köcker dieselbe und begrüßt zunächst alle Erschienenen, gibt kurz seine Reiseeindrücke bekannt von einem 8 tägigen Aufenthalt im Hause der Deutschen Turnerschaft in Berlin. Hier ist so führte Redner aus, der Funke des Volkes, von dem Jahn sprach, wahrhaft lebendig. Bei einem Vergleich der dortigen Eindrücke mit denen unseres Gaues sei zu wünschen, daß dieser Funke auch auf unsern Ostwestfälischen Turngau übertragen werde. Vorbildliche Leibesübungen müssen unser Ziel sein, nichts darf uns übertreffen in der Luft und Liebe zum deutschen Turnen; letzteres soll uns sein ein Jungbrunnen in körperlicher und geistiger Beziehung. Ein altes Volkssprichwort lautet: "Weß das Herz voll ist, dem läuft der Mund über" und so gibt Redner seiner ganz besonderen Freude Ausdruck, alle Schichten der Bürgerschaft von Steinheim begrüßen zu dürfen. Der weitere Dank gebühre dem Steinheimer Turnverein, der trotz Schwierigkeiten das 21. Gaufest in würdiger Weise vorbereitet habe.
Der Gauvertreter schließt mit den Worten, wer wünsche daß die ideellen Bestrebungen der D. T. sich auch bei diesem Gaufest erfüllen mögen, der Stimme mit ein in den Ruf: Dem 21. Gauturnfest zum Segen für Volk und Vaterland ein dreifaches "Gut Heil"!

Nach Schluß des offiziellen Teiles hielten frohe Lieder noch viele Turner längere Zeit beisammen.

Der eigentliche Festtag, der Sonntag kam, begleitet von herrlichstem Sonnenschein. Nach dem Wecken, 5 Uhr früh, herrschte bald ein lebhaftes Treiben in den Straßen Steinheims. Nach Besuch des Gottesdienstes wurde um 8 Uhr angetreten und in geschlossenem Zuge ging es zum Sportplatz, wo sofort die Wettkämpfe begannen. Besonderer Erwähnung verdient die Teilnahme von 5 Altersriegen (35-61 Jahre, die zum 3-Kampf und 9-Kampf antraten und, was Schwierigkeit der Ausführung und Körperhaltung betrifft, manchen jüngeren Turnern als Vorbild dienen könnten. Die gezeigten Leistungen aller Klassen standen auf beachtlicher Höhe, an den verschiedensten Geräten sowohl wie auch bei den leichtathletischen Wettbewerbern. Zum Teil wurden beim Kürturnen Gipfelleistungen gezeigt, die Zeugnis davon ablegten, wie gerade ein Turner in jeder Phase der Bewegungen seinen Körper beherrschen muss.
Die Wettkämpfe wurden in flotter Folge abgewickelt und gegen mittag 12 Uhr beendet.

Um 2 Uhr nachmittags begann der Festzug durch die Straßen der Stadt, verweilte kurze Zeit am Ehrenfriedhof, wo eine Fahnenabordnung zu Ehren der gefallenen Turner des Steinheimer Vereins einen Kranz niederlegte. Die Musik intonierte: Ich hatt einen Kameraden... 21 Fahnen senkten sich unter andächtiger Stille. Weiter führte der Zug zum Marktplatz.
Hier begrüßte das Oberhaupt der Stadt Steinheim, Herr Bürgermeister Starp, alle Erschienenen und betrachtete es als seine angenehme Pflicht, im Namen der städtischen Körperschaften dem Gauturnfest ein "Gut Heil" entbieten zu dürfen, betonte, daß die Stadt Steinheim es sich zur großen Ehre anrechne, das schöne Fest in seinen Mauern feiern zu können. Redner führt an, daß die ganze Bevölkerung Steinheim aus seinem Munde allen Turnern von nah und fern die herzlichsten Willkommensgrüße darbringe und gibt der Erwartung Ausdruck, daß das Ziel des Gauturnfestes, der Deutschen Turnerschaft neue Freunde zuzuführen ganz erreicht werde, das sei der besondere Wunsch der Stadt Steinheim. - Hierauf erwidert der Gauvertreter Herr Meyer zu Köcker, daß er gern und freudig der Pflicht nachkomme, den Dank an Steinheim zurückzugeben für die Worte herzlichster Begrüßung aus dem Munde ihres Herrn Bürgermeisters. Oefter seien wir Turner hiergewesen zur Förderung des Steinheimer Vereins und gern kehren wir wieder. Unsere Fahnen verkünden den Geist Vater Jahns. Durch das Volk für das Volk, so möge es sein und bleiben. Redner zitiert ein altes baskisches Sprichwort: "Wohl dem, dem die Gunst des Nachbars zuteil wird". Trifft doch dieses Wort in besonderem Maße für Steinheim zu, wo die Einstellung der Stadtverwaltung zur Pflege der Leibesübungen gerade als vorbildlich zu bezeichnen sei. Wir brauchen ästhetisch ethisch eingestellte Menschen in unserer Zeit des Handelns, Denkens und der Technik, hierzu möge ein jeder zu seinem Teil mithelfen.
Den Dank an die Stadt Steinheim und seiner Bürger faßt Redner zusammen in den alten Turnergruß, dem dreifachen "Gut Heil"!, in den alles kräftig einstimmte.

Der Festzug setzte sich fort und endete auf dem Sportplatze. Am Festzuge beteiligten sich 450 Turner und 50 Turnerinnen aus zusammen 41 Vereinen mit 21 Fahnen und 7 Wimpel.

Der Nachmittag zeigte Schauturnen, Musterriegen- und Vereinsturnen an vielen Geräten. Die Turnerinnenabteilungen der Vereine Steinheim, Driburg, Paderborn und Lippstadt führten Volkstänze vor, deren graziöse Ausführungen beifällig aufgenommen wurden.
Die Steinheimer Damenabteilung, 30 Turnerinnen, einheitlich gekleidet, zeigten rhythmische Freiübungen der Körperschule, ferner ein Keulenschwingen mit Musikbegleitung. Die außerordentlich gute Haltung und Ausführung der Bewegungen wurde stark bejubelt. Es ist an der Zeit, daß das Frauenturnen auch in unserm Gau mehr und mehr gepflegt wird und den gebührenden Platz einnimmt, der ihm schon lange zukommt.

Die allgemeinen Freiübungen, von 200 Turnern in gleicher Kleidung ausgeführt, boten ein schönes Bild turnerischer Straffheit. Reicher Beifall belohnte auch die Turner hierfür. Anschließend nimmt der Gauvertreter nochmals das Wort und teilt mit, daß das am Nachmittag gezeigte, ein allgemeines Bild des Turnbetriebes darstelle. Nicht die Spitzenleistung sei das erstrebenswerte Ziel der D. T., wohl aber die gute Durchschnittsleistung aller Turner und Turnerinnen. Wie aus den Anfängen der D. T. zu Jahns Zeiten erst ein ein Bach, später ein Fluss wurde und jetzt ein Strom werden möge, der alles mit sich reißt, daran möge ein jeder zu seinem Teil mitarbeiten. Möge das Gauturnfest ein Ansporn sein, ein Samenkorn für diejenigen, die heute noch abseits vom Wege stehen, ist es doch etwas wunderbares um das deutsche Turnen, daß leider noch nicht Allgemeingut des deutschen Volkes ist. Treffen diese Wünsche einmal zu, so haben wir ein gesundes Volk mit gesunden Sinnen, darum muss es heißen, weiter mitarbeiten an der Ertüchtigung des deutschen Volkes; dieses wird der Fall sein, so lange des deutschen Volkes Wille hierfür vorhanden ist. Dazu helfe jeder mit, daß wir werden: Ein Volk, ein gesundes Geschlecht, eine deutsche Volksgemeinschaft, "Gut Heil". Hiernach erfolgte die Siegerverkündigung durch den Gau-Oberturnwart H. Pilger, Paderborn.

entnommen aus "Blätter für den Ostwestfälischen Turngau" No. 140, 1. Oktober 1929